Die Rache des Hexenmeisters

Kapitel 1

Adrian reckte und streckte seine Glieder, gähnte lauthals und seufzte wohlig, bevor er sich auf die Seite drehte und mit noch geschlossenen Lidern unerwartet warme, zarte Haut ertastete. Augenblicklich riss er seine Augen auf und staunte nicht schlecht, als er – nur spärlich bedeckte Schultern, einen nackten – zugegeben ästhetisch prachtvoll modellierten Po und ein ebenso nacktes, formvollendet langes Frauenbein erblickte. Patricia! Plötzlich wie ein Wirbelsturm brach die Erinnerung an die letzte Nacht über ihn herein. Er erinnerte sich an seine wunderschöne, von Flammen umzüngelte Patricia, beschützt von den Kindern der Nacht, die mit ernsten Gesichtern inmitten dieses Feuers einen Schutzkreis um sie herum gebildet hatten. Er sah, wie Asmodeus, dieser mächtige Dämon und Fürst der Unterwelt, den seelenlosen Körper von Lukas verließ. Und sich selbst, wie er diesen hohlen Leib für seinen eigenen Geist in Besitz nahm. Er ertastete seine Brust, kniff sich in den Oberarm. Der kurze stechende Schmerz ließ ihn erkennen, dass er nicht träumte. Endlich besaß er wieder einen menschlichen Körper, durch den warmes Blut pulsierte, das sein Herz kräftig pochen ließ. Noch einmal sah er sich kämpfend dem Dämon gegenüber und wie er diesen letztendlich den Flammen übergab. Mit besinnlichem Lächeln auf den Lippen erinnerte er sich daran, wie er Patricia auf seinen Armen aus der Flammenhölle befreit hatte.
Während sich die Erinnerung wie Nebelfetzen auflöste, bemerkte er die wundersame Ruhe, die sich wie Balsam auf seine geschundene Seele legte. Die unendlich lange Zeit des Wartens als Geist war vorüber, er lag hier als lebendiger Mensch.
„Patricia“, flüsterte er und warf einen Blick zur Zimmerdecke. „Mein Gott, ich danke dir.“ Unbeschreibliche Freude schlich zunächst, als könne er das Geschehene nicht wirklich glauben, aus der Mitte seines Körpers, bevor sie sich ungezügelt und mit ungeheurer Wucht über seine ganze Brust ausbreitete. Einen Augenblick befürchtete er gar, sie müsste ihm bersten vor Glück, als er an den von Leidenschaft und tiefer Liebe geprägten Rest der Nacht dachte. Zumindest den Teil, bevor er eingeschlafen war. Erst nachdem er einmal tief eingeatmet hatte, gelang es ihm, sich ein wenig zu beruhigen. Leise stützte er sich zunächst auf seinen Ellbogen, ehe er sich auf seinem Handballen abstützend über Patricia beugte. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte. Als sich daraufhin jedoch ein eindeutiges Lustgefühl zwischen seinen Lenden regte, musste er sich enorm beherrschen, sie nicht so lange zu streicheln, bis sie wach und lustvoll in seinen Armen stöhnte. Um sich abzulenken, legte er sich auf den Rücken und betrachtete das Zimmer. Da machte sich plötzlich ein anderes, von leisem Grollen begleitetes Gefühl in seinem Magen bemerkbar, welches er lange Zeit nicht verspürt hatte. Hunger! Ich habe Hunger. Er drehte sich zur anderen Seite, schlug die Steppdecke zurück und erhob sich, um für sie beide ein fulminantes Frühstück zubereiten zu lassen. Ein Frühstück, wie er es seit Jahrhunderten nicht mehr zu sich genommen hatte.
In diesem Moment fiel sein Blick auf das Nachttischchen, auf dem ein Briefumschlag mit Patricias Namen lag. Eine Liebeserklärung von Lukas? Außerdem entdeckte er ein kleines, mit rotem Samt überzogenes Kästchen. Er nahm es an sich, öffnete es und machte große Augen, als er den mit einem funkelnden Diamanten besetzten Ring erblickte. Lukas wollte Patricia also tatsächlich fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Er lächelte. Nun gut, er wird sie fragen. Freudig klappte er es wieder zu und schlich, das Kästchen fest in seiner Hand, aus dem Schlafgemach. Speck, Eier und ein herzhaftes Brot. Beim Gedanken daran lief ihm der Speichel im Mund zusammen. Er eilte die Stufen hinunter, quer durch die Eingangshalle, direkt in die Küche. Kein Laut war zu hören. Verwundert öffnete er die Tür. Da fiel ihm ein, dass es keine Angestellten mehr in diesem Haus gab. Die angebliche Haushälterin Emma hatte sozusagen gekündigt. Sie hatte sich mit ihrem richtigen Namen, Sybilla, auf eine ihrer Reisen in die Vergangenheit begeben. Er war erst einmal auf sich allein gestellt, und da er in seinem früheren Leben nie eine Speise zubereitet hatte, blickte er sich hilflos um. Nun ja, überlegte er, während er das Kästchen auf den Tisch legte, eine Pfanne, Speck, Eier und Brot werden sich wohl finden lassen. Ach Sybilla, du fehlst mir schon jetzt. Ich muss mich dringend auf die Suche nach einer Haushälterin machen.
Pfannen unterschiedlicher Größe waren nicht zu übersehen, sie hingen an Haken unter einem Regal, auf dem verschiedene, mit Namen gekennzeichnete Keramiktöpfe standen. Mehl, Zucker und Salz befanden sich darin. Ein Schmalztopf stand ebenfalls dabei.
Er nahm eine Pfanne vom Haken und stellte sie auf den Herd, wie er es bei Patricia gesehen hatte. So, jetzt muss ich nur noch die Eier und den Speck finden. Speck hab’ ich allerdings nie bei Patricia gesehen. Die Eier bewahrt sie im Kühlschrank auf. Hier scheint es allerdings keinen Kühlschrank zu geben, stellte er bedauernd fest, nachdem er die Türen einiger Küchenschränke geöffnet hatte.
„Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragte Patricia, während sie mit verschränkten Armen, angelehnt am Türrahmen, auf seine Antwort wartete.
„Patricia! Guten Morgen, mein Liebling. Wie …, wie fühlst du dich?“, stammelte er überaus verwirrt von ihrem hinreißenden Anblick, sie trug lediglich Höschen und Bluse. „Ich …, ich wollte uns Frühstück machen.“
„Und? Willst du das jetzt nicht mehr?“
„Dddoch …“ Mein Gott, ist das Weib schön!
Vergessen war sein Appetit auf Eier mit Speck. Ein Appetit ganz anderer Natur regte sich zwischen seinen Lenden. Langsam ging er auf sie zu, zog sie in seine Arme und küsste sie zärtlich und fordernd, bis ihnen beiden die Luft wegblieb. „Lass uns nach oben gehen“, raunte er in ihr Ohr, während er heimlich das Kästchen an sich nahm.
„Hast du noch nicht genug?“
„Genug? Nach einer Nacht der Ruhe? Ich bin ein gesunder und … hungriger Mann. Außerdem werde ich von dir nie genug kriegen.“
„Aber es gibt so vieles zu tun. Wir müssen …“
„Später“, hauchte er, hob sie auf seine Arme und trug sie über die Stufen nach oben in ihr Schlafgemach, wo er sie behutsam aufs Bett legte. Als er bei ihr lag, sah er ihr eine Weile tief in die Augen, bevor sein Blick sich ihren Brüsten zuwandte, während seine Finger sanft ihre Fesseln liebkosten, zärtlich ihre Kniekehlen und Schenkel streichelten, zu einer Stelle, die ihr einen entzückten Aufschrei entlockte. Nachdem er ihre Bluse etwas hochgeschoben hatte, schob er seine Finger in ihren Slip und diesen über ihre Hüften nach unten. Nach einem weiteren tiefen Blick in ihre Augen kam er langsam näher und küsste sie leidenschaftlich. Seine Zunge tanzte gekonnt mit ihrer, als sie lautes Heulen vernahmen wie das eines verwundeten Tieres.
„Der Mastino“, flüsterte Patricia.
„Der …, aber der …“
„Er ist noch hier. Ich habe ihn heute Nacht unter unserem Fenster gesehen.“
„Es ist noch nicht vorbei“, murmelte Adrian nachdenklich.
„Erinnerst du dich an Sybillas Worte? So lange es Dämonen gibt, ist es nicht vorbei.“
„Dämonen wird es immer geben“, antwortete Adrian sinnierend. „In uns und um uns herum, in Gestalt von Menschen, die uns zu verletzen suchen, und tatsächliche Dämonen, die uns als geisterhafte Wesen besuchen und von unseren Seelen oder gar unseren Körpern Besitz ergreifen und unser Handeln beeinflussen. Sie hätte bei uns bleiben sollen.“
„Wer?“
„Sybilla.“
„Sie wird wiederkommen.“
„Ich weiß. Aber inzwischen sind wir auf uns gestellt“, sagte er, erhob sich, ging ans Fenster und schaute suchend in den Park hinunter. Alles sah so friedlich aus. Das Licht der aufgehenden Sonne zauberte glanzvolle Farbreflexe auf den vom Tau benetzten Rasen. Vögel zwitscherten und irgendwo miaute eine Katze. Der Morgen versprach einen wundervollen Tag.
„Du bist besorgt“, stellte sie fest.
„Du nicht? Bist du mir böse, wenn ich jetzt …“, fragte er, als er sich mit zerknirscht blickender Miene wieder ihr zuwandte.
„Unsinn. Lass uns nach unten gehen. Ich mache uns ein ordentliches Frühstück“, versprach sie und ging an ihm vorbei. Doch bevor sie das Zimmer verlassen konnte, ergriff er ihr Handgelenk.
„Mittlerweile weißt du ja, was das ist.“
„Ja, Sebastian hat mir beigebracht, was ein kulinarisch ausgewogenes Frühstück sein sollte. Leider weiß ich nicht, was ich in dieser Küche vorfinde.“
„Du magst ihn mehr, als du mir gegenüber zugeben willst, habe ich recht?“, fragte Adrian mit leisem Missklang in der Stimme, der auf seine immer noch vorhandene Eifersucht schließen ließ.
„Wärest du nicht wieder auf diese spektakuläre Weise in mein Leben getreten, wäre ich vermutlich noch mit ihm zusammen. Ich weiß es nicht. Obwohl ich verliebt in ihn war, gab es tief in mir – sagen wir eine gewisse Unsicherheit. Doch nun ist Sebastian ein guter Freund. Zugegebenermaßen einer, den ich sehr verletzt habe, und der mir erst zu einem Freund geworden ist, nachdem er mir verziehen hat, dass ich ihn sang- und klanglos abserviert habe“, erklärte sie. Doch dann blickte sie einige Sekunden nachdenklich vor sich hin. „Allerdings weiß ich nicht, ob er das jetzt immer noch so sieht, da er sich an nichts mehr erinnern kann, was während der letzten Tage geschehen ist. Nun ja, das wird schon. Jedenfalls weiß ich erst, seit du erneut in mein jetziges Leben getreten bist, was wirkliche Liebe ist.“
„Wieder und immer wieder … Seltsam, dass wir uns in fast allen Leben, die wir bereits gelebt haben, begegnet sind. Ist das ein Fluch oder ein Segen? Ich weiß es nicht“, spekulierte Adrian. „In jedem Leben liebte ich dich bis zur Selbstaufgabe und immer wieder verlor ich dich. In den meisten wurde ich getötet und ließ dich leidend zurück, bis Gevatter Tod auch dich ereilte.“
„Und doch ist es ein Segen, da ich durch dich die wahre Liebe und ein tiefes Glücksgefühl erleben durfte. Und ich danke Gott dafür. Wer weiß? Jetzt, da wir um all die Geschehnisse wissen, haben wir vielleicht die Chance, unsere Liebe bis zum Greisenalter leben zu dürfen.“
Adrian nickte nachdenklich vor sich hin. „Ich hoffe es. Ich hoffe es so sehr, mein Liebling.“
„Adrian, ich …“
„Stopp! Lass uns diese Chance nicht kaputtmachen, weil du mich immer noch Adrian nennst. Ich bin nun Lukas. Adrian war ich in einem früheren Leben. Wir haben nur wenige Tage, um uns seinen Namen zu verinnerlichen. Lukas’ Vater wird in wenigen Tagen aus der Klinik entlassen.“
„Ich weiß“, antwortete Patricia und nickte zustimmend.
„Was wolltest du sagen?“
„Lukas“, nannte sie ihn betont deutlich bei seinem neuen Namen, „ich liebe dich ebenfalls. Und ich bin davon überzeugt, dass wir eines Tages auf der Bank unter der alten Eiche sitzen werden, mit unseren Enkeln auf dem Schoß.“
„Dein Wort in Gottes Gehör“, sagte er, während er vor ihr niederkniete.
„Adrian? Lukas, du wirst doch nicht …?“
„Doch das muss jetzt sein. Damit du unsere Enkelkinder nicht als meine Mätresse auf deinem Schoß schaukeln musst, frage ich dich: Willst du meine Frau werden?“ Er entnahm dem Kästchen den Ring und wartete auf ihre Antwort.
Patricias Herz schlug vor Freude Purzelbäume. Ja, ja, ja, jauchzte sie in Gedanken.
„Patricia?“, fragte er besorgt, als sie keine Antwort gab.
„Ich hab’ doch ja gesagt“, flüsterte sie.
„Hast du nicht.“
„Nicht?“
„Nein.“
„Nun denn. Ja, ich will deine Frau werden.“
Adrian streifte ihr den Ring über, erhob sich und küsste sie leidenschaftlich. „Du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt.“
„Und du mich zur glücklichsten Frau. Das hoffe ich zumindest.“
„Was heißt das nun wieder?“, fragte er betroffen.
Statt einer Erklärung küsste ihn Patricia erneut. Doch sollte sie angenommen haben, ihm diese dadurch schuldig bleiben zu können, hatte sie sich getäuscht.
„Ich warte noch auf deine Antwort.“
„Du kennst die Antwort. Hast es doch eben selbst gesagt. In Anbetracht unserer früheren Leben, da ist es …“